Gestrandet an einer Bushaltestelle, irgendwo im pommerschen Hinterland, kam er sich noch einsamer und noch verlassener vor, als ohnehin schon. Handyempfang? Fehlanzeige! Keine Chance online nach Möglichkeiten zu schauen, weiterzukommen – hier wegzukommen. Ja, er wollte raus, irgendwohin ins Ländliche um den Kopf freizubekommen, um Abstand zu gewinnen. Aber doch nicht so! Jetzt war er allen Anschein nach dazu verdammt hier zu versauern. Das fehlte gerade noch.
Es ging einige Zeit ins Land, bis ein Bus des Weges kam. Leider von der falschen Linie. Dieser brachte ihm rein gar nichts, war er doch vor zwei Stunden mit Selbigem gekommen. Unter einigem Gelächter verließen sechs junge Frauen den Bus. Sie hatten Gepäck dabei, sahen dennoch nicht wie Reisende aus. Ein wenig wirkte das gackernde Sextett wie ein Junggesellinnenabschied. Einer von ihnen entglitt das Smartphone. Nahezu geräuschlos landete es in der Grasnarbe am Straßenrand. Unbemerkt dessen setzte sich die Runde in Bewegung.
Ihm war der Handy-Absturz keineswegs entgangen. Aufgesprungen von der Bank, hob er es auf, hielt es hoch: „Hallo Mädels, ihr habt da was verloren!“ rief er ihnen hinterher. Zwei von ihnen blickten sich um, erspähten das Fundstück. „He, Xanti, das ist deins!“ stellte eine fest, als sie das pinkfarbene Gerät wiedererkannte. Prompt kam diese zurück. Ihr warmes Lächeln, als sie das Gerät entgegennahm, empfand er in dem Moment als das Schönste, was ihm an diesem Tag widerfuhr. Wie ein sanfter Sonnenstrahl der sich schwach durch den dunkelgrauen Himmel kämpfte. Gerade als sich die Fremde umdrehen und wieder gehen wollte, fragte er: „Sag mal, ihr kennt euch hier nicht zufällig aus und wisst, wann der nächste Bus kommt, der hoch an die Küste fährt?“ Schmunzeln in der ganzen Runde. „Ich glaube da kommt heute nix mehr, und falls doch … wer weiß wann“, entgegnete eine Andere. „Fuck!“, reagierte er. „Gibt es hier irgendwas? Ein Hotel, eine Pension oder was auch immer?“ Abermals sahen die Frauen einander an. „Hier gibt es nichts. Felder, Wälder, Wiesen, ein paar verstreute Bauernhöfe. Willkommen am Arsch der Welt.“
Er drehte sich um, lehnte sich gegen einen Baum, der neben der Haltestelle gewachsen war. Hoffnungslosigkeit machte sich breit. Das fehlte gerade noch. Wenn das Leben einem Mal mit Scheiße bewarf, dann so richtig. Langsam sank er zu Boden, fragte sich dabei allerdings was die Schwestern dann hier wollten. Gerade wollte er ihnen die Frage nachrufen, da blickte er auf. Die Eigentümerin des Smartphones stand vor ihm. Auch sie schenkte ihm ein warmes Lächeln. Langsam ging sie in die Knie, hockt sich vor ihn hin. Schweigend blickten sie einander an. Ein Moment wie eine Ewigkeit. „Du hattest einen schlechten Tag?“, fragte sie. Er nickt: „Das gibt den ersten Platz für die Untertreibung des Jahres!“ Sie hielt weiterhin Augenkontakt. Erneutes Schweigen. Es schien als versuchte sie seine Gedanken zu lesen.
„Komm schon Xanti!“, rief eine ihrer Freundinnen im Hintergrund. „Wartet!“, erwiderte sie, ohne ihren Blick abzuwenden. „Was machst du hier, wo willst du hin?“, fragte sie ihn. „Ich will einfach an die Küste, brauche Tapetenwechsel, muss paar Dinge hinter mir lassen.“ Nach einer weiteren andächtigen Pause meinte sie: „Danke wegen meines Telefons, das bedeutet mir sehr viel. Wäre eine Katastrophe, wenn ich es verloren hätte. Warte mal eben …“
Gerade wollte er sagen, dass er ohnehin nichts Besseres zu tun hat, da erhob sie sich und ging zurück zu ihren Freundinnen. Eine kurze, leise Diskussion folgte. Man schien sich nicht sofort einig zu sein. Manche Gesichter sprachen Bände, andere waren voller Fragezeichen. Schließlich fanden sie zu ihrer heiteren Stimmung zurück. Diese Xanti winkte. „Komm her“, rief eine Andere. „Begleite uns einfach“, schlug eine weitere mit feuerroten Haaren vor.
Diesen Lichtblick am Horizont ließ er sich nicht entgehen. Zwar wollte er Ruhe, als er zu diesem Trip aufgebrochen war, doch keine gähnende Einsamkeit. Ein bisschen Gesellschaft am Abend war ihm keineswegs unrecht. Seinen Rucksack geschnappt, gesellte er sich zu der Gruppe. Schmunzelnd ergriff Xanti das Wort: „Du kannst gern mit uns kommen. Aber folgende Dinge musst du uns vorher versprechen: Es bleibt alles unter uns und was auch immer wir tun, du hältst dich raus. Das ist unser Abend.“ „… Okay“ gab er zurück, ohne einen Funken Ahnung zu haben, was die Sechs vorhatten … worauf er sich hier einließ. Ganz egal, zu verlieren hatte er ja nichts mehr.
Xanti breitete die Arme aus: „Willkommen in unserer Runde!“ Sie umarmten sich. Verdammt tat das gut. Wärme – menschliche Wärme – Nähe, Herzensenergie. Eine nach der Anderen umarmte ihn zur Begrüßung. Irgendwie fühlte es sich magisch an. Ein ganz besonderer Vibe lag zwischen diesen jungen Frauen.
Ihr Weg führte sie weg von der asphaltierten Straße, über Wiesen und zwischen blühenden Rapsfeldern hindurch. Keine Spur mehr von Zivilisation, kein Handyempfang, nur tiefste Natur. Gesprochen wurde kaum. Allmählich setzte die Abenddämmerung ein. Am Rande eines Waldes erstreckte sich eine Lichtung mit einem kleinen, wilden See. Das Ziel der Reise schien erreicht. Rucksäcke vielen ins Gras, Decken wurden ausgebreitet. Offensichtlich hatte das Sextett ein Picknick geplant. „Auf geht’s, sammeln wir Holz!“ ordnete die schwarzhaarige an. So schwärmten sie aus, trugen alles heran, was sich für ein zünftiges Maifeuer eignete. Er half ihnen, war er doch mehr als dankbar für die Gelegenheit – ganz egal was der Abend bringen würde.
Allmählich küsste die Sonne den Horizont, die Schatten zogen sich. Mittlerer weile, türmte sich eine mannsgroße Pyramide aus Holzscheiten am Rand des Sees auf. Nacheinander entledigten sich die Mädels ihrer Kleidung und schlüpften in knielange, schneeweiße Kleider. Gegenseitig legten sie sich mit bunten Blumen bestickte Mieder an und verzierten ihre Harre mit Blumenkränzen.
Er saß einfach nur da, auf der Decke, als Zaungast. Sicher gab es Schlimmeres als die Beobachterrolle bei diesem Schauspiel. Tief durchatmend sog er die Gerüche von Flieder und Lindenblüten in sich auf. Während dessen entzündete Eine nach der Anderen eine Fackel. Um den Scheiterhaufen verteilt, schritten sie mit gefalteten Händen näher. Zeitgleich senkten sie ihre Fackeln, hauchten dem Lagerfeuer Leben ein. Qualm begann in den Abendhimmel zu steigen. Aus zarten Flämmchen wurde schnell ein regelrechtes Inferno, das Licht und Wärme in die Umgebung schickte. Mit ausgebreiteten Armen standen die Maiden ums lodernde Feuer. Es schien als beteten sie. Schließlich zogen sie alle Zettel hervor, die sie mit Strumpfbändern befestigt an den Beinen unter ihren Kleidern trugen. Nacheinander trat jede dicht ans Feuer, schloss ihre Augen, hielt kurz inne und warf schließlich den Zettel den Flammen zum Fraß vor. Alle, bis auf Eine – Xanti. Sie hatte offensichtlich keinen Zettel. Stattdessen zog sie einen Ring hervor. Offensichtlich wollte sie diesen Moment ganz besonders in sich aufnehmen. Vielleicht fiel es ihr auch nicht ganz leicht? Irgendwann warf sie das runde Stück Silber jedoch voller Entschlusskraft in die Glut.
Alle jubelten, umarmten sich. Eine holte eine Flasche Wein, eine andere einen Zinn-Kelch. Dieser wurde bis zum Rand gefüllt, dann machte er die Runde. Als er am Ende bei Xanti ankam, wand sie sich von ihrer Gruppe ab. Gemächlich schritt sie hinüber zu ihm, der nach wie vor abseits auf der Decke saß und unbeteiligt zusah. Fast wie eine mystische Fee kam sie daher. Lächelnd blickte sie ihm in die Augen, ging dabei vor ihm auf die Knie. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte sie. „Ayden“ lautete seine knappe Antwort. Xanti reichte ihm den Kelch. „Trink!“ Als er ansetzte, fragte sie: „Und Ayden, was ist deine Geschichte?“ Den süffig, lieblichen Zwiegelt heruntergeschluckt hakte er nach: „Was genau meinst du?“ Ihren Blick hielten seinen fest fixiert. Ihre Augen sprachen für sich. Ein merkwürdiger Schauer durchlief ihn. Es hatte etwas Magisches, beinah wie eine Art Hypnose. „Du weißt genau was ich meine“, antwortete Xanti. „Warum bist du hier?“
Die anderen hatten die Szene aus einiger Entfernung beobachtet und kamen jetzt näher. Sie gesellten sich zu den beiden auf die Decke. Unter den Blicken sechs fremder, weiblicher Augenpaare sein Herz zu öffnen, war eine Herausforderung, der er an diesem Tag nicht gewachsen schien. So machte er es kurz: „Das Leben ist gerade einfach Scheiße!“ Xanti musterte ihn schweigend, nahm ihm dabei den Kelch ab, um selbst einen Schluck zu trinken. „Ja, Ayden, das ist manchmal das Leben. Schau mal …“ Sie zeigte auf die erste ihrer Freundinnen. Die mit den feuerroten Haaren. „Das ist Enya, sie ist aus dem Krieg geflüchtet, musste ihr ganzes Hab und Gut sowie ihre Eltern zurücklassen.“ Nach einer kurzen Gedankenpause zeigte sie auf die nächste in der Runde. Die mit braunen Haaren und rehbraunen Augen. „Das ist Veina. Sie liebte den Reitsport über alles bis sie letztes Jahr schwer gestürzt ist. Ihr Pferd musste eingeschläfert werden und sie kann nie wieder reiten. Vielleicht hast du gesehen, dass ihr das laufen schwerfällt.“ Eine weitere Gedankenpause folgte, dann war die mit den wasserstoffblonden Dreadlocks an der Reihe. „Und hier haben wir Kandra. Sie hat all ihre Ersparnisse investiert um sich selbständig zu machen, ihren Traum zu verwirklichen, ihr Business aufzubauen. Leider ging es schief, nun ist sie komplett Pleite.“ „Nein ich bin sogar tief verschuldet!“, fügte besagte hinzu. Xanti nickte und zeigte auf die sehr ruhige Blondine mit den stahlblauen Augen neben Kandra. „Dann haben wir da noch Alenja. Sie hat eine unheilbare Krankheit. Man sieht es ihr vielleicht nicht an, aber mit ihr möchte auch keiner tauschen.“ Ayden schaute immer ungläubiger in die Runde. Schließlich legte Xanti ihre Hand auf die Schulter der Schwarzhaarigen, die neben ihr auf der Decke Platz genommen hatte und deren Augen bereits begannen feucht zu werden. „Tja, dann wäre da noch Rigani. Ihr Sohn war depressiv und hat sich vor zwei Jahren das Leben genommen. Sie konnte ihn nicht retten.“ Bei den Worten standen plötzlich allen die Tränen in den Augen. „Und nun verrate mir, warum dich das Universum heute hier hergeführt hat?“
Ayden musste erst einmal tief durchatmen. Er nahm noch ein Schluck Wein. Verdammt, wo hatte ihn das Schicksal hier nur hergeführt. Konnte das alles wahr sein? Gab es solche Zufälle, solche Fügungen? Den Kelch gesenkt, ergriff er das Wort: „Bei mir ist gerade eine Beziehung zu Ende gegangen. Nicht irgendeine. Eine lange, sehr intensive, ausgesprochen tiefe! Sie hatte mich aus einer vorangegangenen Lebenskrise geholt und mir ihr Wort gegeben, mich niemals zu verletzen. Am Ende hat sie es noch heftiger getan, als alle davor. Und nicht nur das. Sie hat mich fürchterlich behandelt, um mich dazu zu bringen, dass ich von selbst gehe. Das war das Schlimmste. Dennoch … Gott habe ich diese Frau geliebt, ich wäre für sie durchs Feuer gegangen! Ist schon pervers, dass alle Narben auf meinem Herz nicht von meinen Feinden kamen, sondern stets von Menschen die einmal gesagt haben, dass sie mich lieben.“
Noch immer sah ihm Xanti in die Augen. „Du wurdest also gerade verlassen?!“ Ayden nickte. „Dabei wollte ich diese Schmerzen nie wieder erleben!“
Obwohl sie es ihm nicht wirklich nachempfinden konnte, hatte sie diese Erfahrung glücklicherweise noch nie gemacht, umarmte sie ihn. „Na da passt du ja blendend in unsere Runde!“ Lächeln zwinkerte sie ihm zu. „Und was ist deine Geschichte, Xanti?“ wollte er nun wissen. „Du bist die einzige, die noch fehlt. Was hatte es mit dem Ring auf sich?“
Jetzt war sie es, die tief durchatmete. „Stimmt. Ich bin jetzt mehr als zehn Jahre verheiratet. Mein Mann hat angefangen mich immer schlechter, immer respektloser zu behandeln. Ich bin geblieben wegen unseres Kindes, habe alles ertragen. Doch jetzt konnte ich nicht mehr und bin gegangen.“ Ihre Stimme wurde bei den Worten immer zittriger.“ Nun setzt er unser Kind als Waffe gegen mich ein und ich weiß nicht was wird, doch es ist mein Ein und Alles!“
„Oh Mann, was für ’ne Scheiße!“ reagierte Ayden. Die Arme ausgebreitet, zuckte Xanti mit den Schultern. Trotz Tränen in den Augen versuchte sie zu schmunzeln – hatte sie doch ein so schönes Lächeln. Ayden legte ihr die Hand auf die Schulter. „Das tut mir von Herzen Leid. … Aber sag mal, was ist das, was ihr hier macht?“ Nun ergriff Kendra das Wort: „Heute ist Walpurgisnacht. Wir nutzen dies für ein paar Rituale, um die Vergangenheit hinter uns zu lassen. Wir wollen diese Erlebnisse in unserem Leben nicht als etwas Schlechtes sehen, sondern als eine Erfahrung, die uns auf unserem Weg bereichert hat. Doch nun verabschieden wir uns davon und bitten die bösen Geister freundlich zu gehen.“ Alenja, die bisher noch kein einziges Wort gesagt hatte, aber ein herrlich warmes Schmunzeln besaß, fuhr fort: „Deswegen haben wir alles auf Zettel geschrieben und den Flammen übergeben.“ Während dieser Worte holte Enya einen Block sowie einen Stift hervor. „Bitteschön, Ayden. Wenn du magst … nutze die Gelegenheit. Die heutige Nacht hat eine besondere Energie. Denn nach dem alten Kalender ist der Beginn des Frühlings tatsächlich der Beginn des neuen Jahres. Und somit der Beginn von etwas Neuem.“
Es war einfach so unglaublich, was hier gerade passierte, dachte er. Wie genial war das, wozu ihm das Universum hier eingeladen hatte? Einen Zettel brauchte er nicht. Andächtig, mit Gänsehaut am ganzen Körper, kramte er einen Briefumschlag aus dem Rucksack. Etwas zittrig hielt er ihn vor sich, blickte in die Runde. Nach einander zeigten alle Richtung Feuer. Langsam erhob er sich, ging die wenigen Schritte zu diesem massiven Inferno. Tränen rannen über seine Wangen. Die Frauen die ihn begleiteten hätten allesamt zu gern seine Gedanken in dem Moment gewusst. Minuten vergingen. Vermutlich sprach Ayden in Gedanken mit jemandem. Schließlich übergab auch er seine verschriftlichten Gedanken den lechzenden Flammen.
„Zugern würde ich wissen was da drin Stand. Schon ein schräger Zufall, dass er seinen Zettel bereits dabei hatte, meint ihr nicht?“ sprach Alenja in die Runde. Rigani schüttelte den Kopf: „Ich weiß, was das für ein Brief war!“ entgegnete sie. Auch ihr überkam ein erneuter Tränenschauer. Sie stürzte zu Ayden, schloss ihn in die Arme. „Danke, danke, danke, dass du heute Nacht hier bist. Schön dich bei uns zu haben.“ Im Hintergrund klatschten die anderen Fünf Beifall. „Willkommen in unserer Runde!“, rief Venia. „Nun denn, Zeit unser Vorhaben zu vollenden!“ fügte Kendra hinzu. Im nächsten Moment holte sie einen Klappspaten aus ihrem Gepäck. Unter Aydens fragenden Blicken begann sie Glutstücke aus der Mitte des Feuers zu holen und auf dem schmalen Sandstreifen neben dem kleinen See zu verteilen.
Mit dem frisch befüllten Kelch gesellte sich Xanti an Aydens Seite. „Ich frag’ nicht was in dem Brief stand, aber ich kann es mir denken“, sprach sie, beinah im Flüsterton. „Weißt du, manchmal setzt uns das Leben Prüfungen vor die Nase und die sind Scheiße. Aber wenn wir sie überstehen, hält es eine süße Belohnung für uns bereit. … Dein altes Leben endet heute. Betrachte diese Nacht wie einen zweiten Geburtstag. Ab morgen Beginnt dein neues Leben. Mach dir Gedanken wie es aussehen soll und dann wirst du deine Ängste hinter dir lassen und mit uns über die heiße Glut laufen!“ Sie reichte Ayden den Kelch Wein und ließ ihn allein mit seinen Gedanken. Seine Blicke waren ohnehin in den Flammen versunken.
Bald darauf war angerichtet. Ein glühender Laufsteg erstreckte sich im Sand. Führte dieser wirklich aus der Welt der Ängste und Schmerzen in eine Zukunft voller Glück und Vollkommenheit? Oder bedeutete es nur noch mehr Schmerz und Wunden? Hintereinander stellten sich die Frauen an die orange-glimmenden drei Meter heiße Wegstrecke. Sie standen da, meditierten einige Minuten, dann begannen sie sich aufzuputschen, wie Gladiatorinnen für ihren Kampf. Kendra war die erste. Kurz hielt sie inne, sortierte ihre Gedanken und ging schließlich entschlossen über die Glut, als wär es ein Spaziergang. Rigani, Enya, Xanti und Venia taten es ihr nach. Nur Alenja zögerte. Plötzlich begann Venia zu singen: „Dem Himmel entgegen, den Blick geradeaus, denn in diesem Leben da hält dich nichts mehr auf…“ Die anderen stimmten ein, klatschten im Takt dazu. Energie, Magie, Spirit. Das Anfeuern ihrer Freundinnen und der Gesang gaben ihr schließlich den Mut. Auch sie schaffte es die brennende Brücke ins neue Leben zu überqueren.
Nun blickten alle zu Ayden hinüber. „Los, jetzt du!“, rief Kendra. „Stell dir einfach vor, es ist kühles, weiches Moos über das du gehst!“ fügte Venia hinzu. Mit gemischten Gefühlen schritt er an die Glut heran. Er konnte die Hitze spüren. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Angst hatte er nicht wirklich. Wer einmal so weit war, so tief unten war mit seinen Gefühlen wie er in den letzten Tagen, der fühlte keine Angst mehr. Nur von Schmerzen hatte er genug. Oder war es vielleicht genau das, was er jetzt brauchte. Sich einfach spüren? Ihm kam es fast wie der Weg in die Hölle vor. Aber He, auf der anderen Seite warteten sechs hübsche Frauen!
Zwölf Augen blickten gespannt ans andere Ende der Glutpiste, sahen sein Zögern, seine Unsicherheit. Xanti winkte ihn heran: „Du sagtest, du wärst für sie durchs Feuer gegangen. Nun bitte, das ist eine Chance es zu tun und sie zugleich auf der anderen Seite zurückzulassen.“ Wahre Worte, dennoch zögerte er weiterhin. Zugleich schien wie aus dem Nichts eine Stimme in seinen Gedanken zu rufen: „Nimm Abschied – Abschied von ihr, nicht von dir. Und dann LAUF!“
Klammheimlich holte Rigani ihre Musikbox hervor. Keine von ihnen hatte mehr durchgemacht, so hatte sie einfach das richtige Gespür für den Moment. Plötzlich hallte Pink’s “Trustfall“ in die Nacht. BOOM – wie ein Schlag traf es Ayden. Er brach erneut in Tränen aus, viel heftiger als zuvor. Er schloss die Augen. Warum um alles in der Welt mussten ihn die Frauen jetzt so sehen. Doch auf einmal begannen seine Beine ganz von selbst einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die Glut war heiß aber es tat nicht weh. Stattdessen trug es ihn geradezu von selbst darüber hinweg. Jubel und Applaus empfingen ihn. Gänsehaut bei allen. Ayden zitterte am ganzen Körper. Die Umarmung der Frauen fing ihn auf. Was für ein Moment! Sich die Tränen aus den Augen wischend, blickte er zurück. Es war weg – das Gefühl totaler innerer Zerstörung, tiefer Trauer und endlosen Schmerzes war weg! Befreit atmete er auf … immer noch vom Adrenalin zitternd.
„So, und jetzt wird gefeiert. Lasst uns in den Mai tanzen!“ rief Rigani. Die Musik wurde umgeschaltet. Ein Mix aus keltischen, irischen, slawischen und mittelalterlichen Folkrock-Liedern erklang. Wie junge Rehkitze sprangen alle plötzlich um das Feuer, tanzten ausgelassen barfüßig über die Wiese. „Wer nicht kämpft hat schon verloren, nur wer Fällt steht wieder auf. Darum haben wir geschworen unser Feuer brennt nie aus, C‘est la vie, gib niemals auf!“ sangen die Maiden im Chor. Der rote Wein floss in Strömen.
Mitten drin Ayden. Er fühlte sich befreit! Die Last war weg, der Herzschmerz gerade nicht mehr fühlbar, das Lachen zurück in seinem Gesicht wie auch seiner Seele. Nicht nur das Feuer wärmte, auch die Anwesenheit der anderen wärmespendenden guten Seelen. Gelöst tanzte er mit.
Mehr und mehr begannen die Mädels miteinander zu tanzen. Aus tanzen wurde streicheln, kuscheln bald auch küssen. Sie ließen sich Zusehens gehen, lebten einfach den Moment, gaben sich einander hin. Bald schon glänzte der erste nackte Busen im Schein des Feuers. Weitere folgten. Aus Küssen auf die Lippen wurde Lecken an den Nippeln.
Ayden traute seinen Augen kaum. Langsam spürte er die Wirkung des Weins. Doch wenn keine der Damen von selbst mit ihm tanzte, hielt er sich zurück, wie er es anfangs zugesagt hatte. Lachend genoss er einfach die Show, die er geboten bekam. Nah am Feuer war es so heiß, dass mehr und mehr Haut bei den Frauen zum Vorschein kam. Irgendwann fielen die Kleider ganz. Nun tanzten sechs nackte Nymphen im aufgehenden Vollmond. Wein landete statt in den Mündern auf den Körpern und wurde dort abgeleckt. Vielleicht war ja das Leben doch nicht so beschissen wie vor wenigen Stunden? So manche Frauenhand verirrte sich zwischen die Schenkel einer ihrer Freundinnen. Zurückweisung erfuhr sie nicht, statt dessen ein freudiges Willkommen. Bald schon lösten Zungen die Hände ab, bald schon ließen sich die Ersten auf der Decke nieder, um sich dort ganz einander hinzugeben. Stöhnen mischte sich unter die Musik wie auch das Knacken des brennenden Holzes. Die in den Nachthimmel aufsteigenden Funken wirkten wie ein Feuerwerk, dass die Bühnenshow dieses Konzertes der Lust untermalte. Hände glitten über nackte Haut, Lippen verschmolzen miteinander, Finger vereinten sich mit Vulven, Münder beglückten Kitzler. Im Nu hallten die ersten orgasmischen Laute in die Nacht. Der Reihe um durfte immer eine genießen, während alle anderen sich um sie kümmerten. Mal zart, mal intensiv und hart – so wie es wohl jede gerade wollte, oder brauchte. Während die eine von 10 Händen einfach nur minutenlang gestreichelt und massiert wurde, wurde eine andere durch Hiebe mittels Rapsstängel regelrecht zum Höhepunkt gepeitscht, um sich am Ende ins Gras zu ergießen.
Den Kelch fest in der Hand, den Feuerschein im Gesicht, stand Ayden neben den lodernden Flammen. Allmählich fragte er sich, ob das, was er da gerade sah, nur eine Nebenwirkung des Weines war? Da tauchte plötzlich Xanti vor ihm auf. Ihre Augen fingen rasch seinen Blick ein. Einen Moment lang stand sie schweigend da. „Ich bin dem Schicksal dankbar, dass wir uns heute Begegnet sind“, sagte sie. „Ich mag Menschen, die nicht aalglatt sind, sondern auch Downs in ihrem Leben hatten. Und … Ich denke, hinter diesen Augen wohnt eine wundervolle Seele, die einfach noch nicht dem richtigen Mensch begegnet ist. Das habe ich schon an der Bushaltestelle gesehen.“ Schweigen folgte auf diese Worte. Ein langes Schweigen mit einem unheimlich tiefen Augenkontakt. Auf einmal ergriff sie sanft seine Wangenknochen, zog ihn näher und küsste ihn. Tausende Sterne begannen augenblicklich zu funkeln. Plötzlich waren es nicht länger Körper, die miteinander tanzten, sondern Zungen und Seelen.
Nach endlosen Minuten unterbrach Xanti den Kuss: „Man muss Feste feiern, wie sie fallen, so als wäre heute unser letztes Mal. … Also komm doch einfach rüber und feiere mit uns!“ Sie ergriff seine Hand. Das Paradies wartete. Eingebettet zwischen Brüsten, Schenkeln und zarten, heilenden Frauenhänden tauchte er ein in die Nacht der Nächte. Die Feen führten ihn durch einen ganz besonderen Tanz in den Mai, bereit ihm alles zu geben, was es brauchte, ihm neues Leben einzuhauchen. Sinnlichkeit, Zärtlichkeit, Zuneigung und brennende Leidenschaft, bis der letzte Damm gebrochen und alles Angestaute abgeflossen war. Egal was kommen mochte, egal was das Leben noch an Höhen und Tiefen bereithalten würde – eins war sicher: nach dieser Nacht würde er nicht mehr derselbe sein. Keiner aus der Runde würde mehr noch so sein wie davor.
Diese Geschichte ist allen gewidmet, die die im Leben Schicksalsschläge erlitten haben, die große Tiefschläge und Trauer überwinden und gewaltige Kämpfe durchstehen mussten. Die Geschichte ist für die Menschen die nicht aufgegeben haben, aber auch für die, die es ohne Hilfe nicht geschafft hätten sowie die, die da waren und halfen. Und ganz besonders für die, die Vorlage für die Charaktere in dieser Geschichte waren … so wie Ari, die eine Woche nach dem erscheinen dieser Geschichte verstorben ist.

(Copyright by André)
PS. Vielen Dank an die Inspiration und Unterstützung an Bianca & Blue_eye786
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